
Bischof Scheuer sieht Gefahr, dass Gedenkfeiern zur Routine werden
Der Linzer Bischof Manfred Scheuer sieht die Gefahr, dass Gedenk- und Befreiungsfeiern trotz großer Versprechen im Sinne von "Niemals wieder!" zur Routine werden. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an das berühmte Wort von Papst Franziskus von der "Globalisierung der Gleichgültigkeit" uns warnte, dass eine "auf moralische Imperative reduzierte Gedenkkultur" immer weniger akzeptiert werde. "Eine leere Toleranz, eine hohle Liberalität, eine oberflächliche Gleichgültigkeit, eine narzisstische Achtlosigkeit ... all diese Fehlhaltungen sind Analphabeten in der Sprache der Empathie", so Scheuer. Ohne Berührung mit der Not und dem Elend, ohne die Erfahrung von Angesicht zu Angesicht mit den Leidenden komme es nicht zu einem tragfähigen "Gemeinsam".
Bischof Scheuer äußerte sich anlässlich der Mauthausen-Gedenkfeier am Sonntagvormittag; am traditionellen ökumenischen Gottesdienst in der KZ-Gedenkstätte hatte er an der Seite des evangelisch-lutherischen Bischofs Michael Chalupka und des griechisch-orthodoxen Bischofsvikars Ioannis Nikolitsis persönlich teilgenommen.
In seinem Kathpress vorliegenden Text zitierte Scheuer den wegen seiner kommunistischen Einstellung in Österreich lange Zeit abgelehnten Schriftsteller Bertolt Brecht: "Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer." Respekt, Toleranz, Freiheit, Gemeinwohl und Friede seien "keine Selbstläufer". Keine Person, keine Generation und auch keine Gesellschaft könne die dafür notwendigen Erziehungs- und Lernprozesse abkürzen oder überspringen, betonte der Bischof.
Und hielt mit den Worten von Elie Wiesel fest: Es gebe das Recht und sogar die Pflicht, "die junge Generation verantwortlich zu machen - nicht für die Vergangenheit, aber dafür, wie sie mit ihr umgeht, was sie mit den Erinnerungen tut, die ihr Erbteil sind". Sie sei verantwortlich zu machen für die Art und Weise, wie sie sich erinnert, so der amerikanisch-jüdische Schriftsteller und Holocaust-Überlebende.
Scheuer plädierte für eine "memoria passionis" (Lat. für Erinnerung an das Leiden), die sich verweigert, "sich damit abzufinden, dass die Toten in alle Ewigkeit tot bleiben, die Besiegten besiegt und die Durchgekommenen und Erfolgreichen in alle Ewigkeit oben bleiben".
"Gott wird um Verzeihung bitten müssen"
In einer Barackenwand im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen sei der bittere Satz eines damaligen Häftlings eingeritzt: "Wenn es einen Gott gibt, dann wird er bei mir um Verzeihung bitten müssen." Dazu Scheuer: Ein Christ, der bei seinem Glauben und seinem Beten bleiben will, werde großen Respekt vor jeder Entscheidung zur "praktizierten Gottlosigkeit" haben - diese aber auch nicht zum Maßstab für sein Verhalten machen. Der Gott Jesu Christi sei ein Gott, der sich vom Leid und Unrecht berühren lässt und Partei ergreift. Die Gräuel des Nationalsozialismus stellten - in Anlehnung an Gottes Frage an Adam/den Menschen nach dem Sündenfall auch Fragen an heutige Zeitgenossen: "Wo war der Mensch - und wo die Menschlichkeit -, als unseren Brüdern und Schwestern so Furchtbares zugefügt wurde?"
Eine kritische Anmerkung machte der Linzer Bischof zum Umstand, dass der Grundsatz der in grundlegenden Texten verankerten Menschenwürde meist nicht bestritten werde. "Und doch sind Umfang und Reichweite umstritten. Die Würde des Menschen wird praktisch oft auf schreckliche Weise verletzt, aber auch in der Theorie negiert." Explizit wandte sich Scheuer gegen jede Instrumentalisierung des Gedenkens an die Leidenden und die Toten. Es wäre "fatal, wenn die Toten im Besitz der Lebenden für neue Machtkämpfe und Kriege herhalten müssen, wie es auf dem Balkan oder in der Ukraine überaus leidvoll der Fall war und ist".
Quelle: kathpress